Anekdotisch Evident

Kultur und Wissenschaft durchs Prisma der Plauderei

ae21 Erinnerungen

| 11 Kommentare

Der Geruch des Kaugummis, der uns ins Reich der Kindheit katapultiert, vergilbte Fotos aus dem Urlaub 1984, der Porzellanpudel der Großmutter, von dem wir uns nicht trennen können oder die peinlichen Tagebücher aus der Jugendzeit – Erinnerungen sorgen für nostalgische Wärme und wohliges Schaudern. Sie prägen aber auch unsere Identität, unsere Gegenwart und die Zukunft. „Unser Gedächtnis ist unser Zusammenhalt, unser Grund, unser Handeln, unser Gefühl. Ohne Gedächtnis sind wir nichts.“, schrieb Luis Buñuel. Erinnerung und ihr unentbehrliches Gegenstück – das Vergessen, haben aber auch Schattenseiten. In dieser Folge sprechen wir nicht nur über den Trost der Nostalgie, sondern auch über die Fallstricke der Erinnerungskultur, die Gefahren von Rückwärtsgewandheit und Versuche, das kollektive Gedächtnis zu manipulieren. 


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11 Kommentare

  1. Tolle Sendung mal wieder. Ihr sagt ganz viel Kluges. Sehr bereichernd, danke.

    Was Michael Jackson angeht scheint ihr mir aber noch sehr aus der ehemaligen Fan-Perspektive zu sprechen. Ich war auch Fan und wollte die Doku auch nicht sehen – habe es dann doch getan und ich finde, die muss man gesehen haben, wenn man dazu eine Meinung hat. Klar, es beruht alles nur auf Erlebnisberichten – aber das ist in solchen Fällen ja häufig so.

    • Hi,
      ich habe dazu gerade eine längere Auseinandersetzung auf twitter gehabt, wo genau das auch Thema war und ich möchte meine wesentlichen Argumente hier mal zusammenfassen (vorweg schickend, dass ich schon lange kein Fan mehr bin):
      1. Mein Grundproblem ist: Wie können wir eine weltweite Bewegung unterstützen, die u.a. fordert, Michael Jackson auszuradieren, wenn sie für die Geschichte, auf Basis deren sie das fordert, keinen einzigen Beweis liefern kann? Ich kann das nicht.
      2. Allen, die die Doku gesehen haben, geht es so: Niemand kann sich vorstellen, dass das nicht stimmen soll. Alle entwickeln sofort Empathie mit denen, die mutmaßlich Opfer geworden sind. Die Geschichte ist so glaubwürdig! Deswegen gucke ich die Doku nicht, weil es offenbar ein Automatismus ist. Diese Entscheidung treffe ich nicht, weil ich nicht auch gern Empathie mit anderen entwickele (das tue ich SOFORT), sondern weil ich so das Gefühl habe, auf Basis von Beweisen und echten Fakten handeln zu können und nicht vielleicht (!) manipuliert zu werden. Meine große Empathie ist also sogar der Grund, es nicht zu schauen. Weil ich mich anfällig fühle.
      3. Auf twitter sagte eine Opferhelferin, dass die mutmaßlichen Opfer ganz typische Täterstrategien beschreiben würden. Aber die beiden kennen diese eben im Zweifel auch. Es war viel Zeit, sich mit so etwas genauestens zu beschäftigen und die Geschichte zu perfektionieren. Ich fühle mich mega schlecht dabei, solche Dinge zu schreiben – weil ich mutmaßlichen Opfern nicht gern unterstelle, zu lügen. Weil ich weiß, wie wichtig es für Opfer ist, dass jemand ihnen glaubt! Das ist immer der Anfang. Aber das war in der Sendung nicht mein Job. Weder ein Urteil, noch die Opfervertretung. Sondern der gesellschaftliche Umgang mit MJ war Thema
      4. Genau: Es ging halt in der Sendung nicht um ein Urteil. Sondern um ein Phänomen. Ein weltweites Phänomen. Ich war nicht dabei und beziehe daher keine Seite. Das war auch nicht der Punkt. Das Thema war Erinnerung und der Versuch, sie zu tilgen. Ich vertrete keine Seite in diesem Prozess.
      5. Was ich als meinen Job sehe, ist eher neutral zu sagen, wie geht man jetzt mit sowas um. Wie geht man gesellschaftlich mit einem Fall um, in dem Aussage gegen Aussage steht, wir alle nicht dabei waren, wir eine Geschichte jetzt glauben sollen (und nur Glauben ist gefragt, weil Beweise gibt es leider keine) und darauf soll irgendeine Schlussfolgerung basieren? Ich sehe es als meinen Job, zu sagen dass ich Zweifel habe, weil offenbar die Doku zu einer weltweiten Bewegung geführt hat, die sich plötzlich ganz sicher ist und alle Zweifel über Bord wirft – warum? Von außen betrachtet ist das schon ziemlich weird, denn ich habe durchaus gelesen, was der Inhalt der Doku ist.

      Liebe Grüße,
      Katrin

      • Mir geht es gar nicht um Ausradierung, da habe ich euch vielleicht missverstanden. Ein politisch/gesellschaftlich verordnetes Vergessen wäre auch nicht in meinem Sinne.

    • Um das auch durch meine Sicht zu ergänzen: Mich stößt seit jeher die menschliche Lust ab, Helden stürzen zu sehen und – durch den Mob gestärkt – zu zerfleddern. Die Zerstörungslust wird nur weiter gesteigert, wenn es um Leute geht, die von Millionen vergöttert werden oder wurden. Es sind ja gerade nicht die enttäuschten Fans oder Sympathisanten die lautstark die Verdrängung und das Vergessen fordern, sondern Menschen, denen das „Freakhafte“ Michael Jacksons genauso wenig gefällt wie jede andere Abweichung vom Normalen. Lebhaft erinnere ich mich noch daran, mit welchem Vergnügen und welcher Genugtuung man mir als 11-jähriger erzählt hat, dass Michael Jacksons Gesicht zerfällt … Und es macht mich stutzig, wenn gerade Menschen, die von Niedertracht getrieben werden, ihre Damnatio Memoriae der moralischen Empfindsamkeit zuschreiben. Obwohl ich nicht bezweifle, dass es echte moralische Bestürzung gibt.

      • Ich habe ein grundsätzliches Problem mit dem Konzept „Helden“, aber ich glaube nicht das ich Lust daran verspüre welche stürzen zu sehen. Ich war ja auch mal MJ-Fan und ich sehe ihn jetzt auch nicht als Monster – aber als jemanden, der (sehr wahrscheinlich) seine Macht auf Kosten sehr viel Schwächerer ausgenutzt hat. Und solche Leute müssen zumindest neuen Generationen nicht mehr als Helden verkauft werden, finde ich.

  2. War wie ja eigentlich immer unterhaltsam und lehrreich. Besonders schön ist es ja immer, wenn Eure unterschiedlichen Charaktere sich reiben.
    Ich war letzte Woche im Noldemuseum, und war ganz überrascht, dass der ja nach neuen Erkenntnissen nicht das NS-Opfer war, als das er sich inszenierte. Und ein übler Rassist noch dazu. Aber macht das seine Bilder schlechter?
    Ein wenig kurz gekommen ist die Magie der Gerüche, welche uns so perfekt wie kein anderer Sinn in die Vergangenheit beamt. Weil sie am unbewusstesten gespeichert wird? Keine Ahnung.

    • Gerüche! – Danke, das muss natürlich in den Nachschlag 🙂

    • Dabei hab ich das doch extra in der Einleitung erwähnt! Die Stelle mit dem Fliederduft, der meine Kindheit wiederaufleben ließ… REMEMBER??? 😉
      Gehörtes verschwindet übrigens ohnehin sehr schnell: in einer Untersuchung konnten sich die Teilnehmer einer Konferenz nur an 8% dessen erinnern, was sie gehört haben und davon waren 50% falsch! Und von den 8% waren nach zwei Wochen 90% vergessen (skurrilerweise habe ich mir diese Angaben genau gemerkt). Übrigens teile ich Kaddas Lesegedächtnis nicht. Alles was ich lese vergesse ich SOFORT. Texte über Politik brechen sogar mitten im Satz aus dem Hirn heraus. Nur Mitschreiben bietet gewissen Halt.

  3. Noch einmal zu Michael Jackson: Ich kann es gut verstehen wenn DJs ihn nicht mehr spielen wollen ob der Vorwürfe die gegen ihn erhoben werden. Würde ich auch nicht. Das heißt ja nicht gleich, wie hier benannt, dass das primäre Anliegen sei, alle Erinnerung platt zu machen. Es fühlen sich halt einfach Menschen nicht mehr wohl dabei Musik von ihm zu spielen. Nicht mehr und nicht weniger.

    • diese persönliche Entscheidung halte ich für so selbstverständlich – darüber müssen wir gar nicht diskutieren!
      Aber es entstand ja die Forderung, ihn gar nicht mehr zu spielen – eine politische Forderung und eine persönliche Entscheidung sind ja schin noch zwei verschiedene Dinge.

  4. @Robert
    Dass Nolde „nach neuen Erkenntnissen nicht das NS-Opfer war, als das er sich inszenierte. Und ein übler Rassist noch dazu“, ist ganz schön euphemistisch. Er war vor allem erst mal selber Nazi und nicht nur Rassist, sondern glühender Antisemit. Und diese Erkenntnis quoll nicht aus irgendwelchen lange verschlossenen Geheimarchiven, sondern das hätte jahrzehntelang jeder wissen können, der lesen konnte.

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