Anekdotisch Evident

Kultur und Wissenschaft durchs Prisma der Plauderei

Wohnen

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Wer bei unserem aktuellen Thema nicht an Wohnungsknappheit, Gentrifizierung, soziale Ungleichheit oder nachhaltige Wohnkonzepte denkt, hat vermutlich den seichten Wohlfühlfaktor von Deko-Shopping und ästhetische Instagram-Fotos im Kopf. Aber zwischen der politischen und banalen Dimension liegen unzählige Aspekte, mit denen es sich zu beschäftigen lohnt. Welche psychologischen Funktionen hat die Gestaltung unserer Häuser und Wohnungen? Wie prägt der Wohnraum die persönliche Identität? Und wie spiegelt sich in alledem Gesellschaft? Schlendert mit uns durch die Jahrhunderte der Wohngeschichte zwischen stinkigem Hausen und heimeliger Häuslichkeit!

 

Links und Hintergründe

Frage an die Hörer*innen: Würdest du lieber in einem schönen Haus wohnen und auf ein hässliches Haus schauen oder lieber in einem hässlichen Haus wohnen und auf ein schönes Haus schauen? Und warum?

Wenn euch anekdotisch evident gefällt, dann schmeißt doch ein paar Euro in einen unserer Hüte – das hält das Angebot am Leben.

18 Kommentare

  1. Im Folio der nzz gibt es schon seit Jahren die Rubrik „Wer wohnt da?“
    Dabei versuchen eine Psychologin und ein Innenarchitekt anhand von ein paar Fotos herauszufinden, wer in einer bestimmten Wohnung wohnt. Sozusagen das umgekehrte Erlebnis zu Alexandras Hausbesuchen.

    • Ja! Dieses Spiel kann man auch ausgezeichnet mit dem Buch „Plattenbau privat“ spielen. Alter / Generation, Alleinstehend oder mit Familie, Bildung bzw. Beruf. Echt spannend, woran man das dann festmacht.

  2. Hallo, zu der Abschlussfrage habe ich mir auch schonmal Gedanken gemacht. Definitiv möchte ich in dem hässlichen Haus wohnen und auf das hübsche schauen. Eine Aussicht ist von innen betrachtet irgendwie eine Art Bild und es frustriert mich wenn ich mir die ganze Zeit etwas hässliches anschauen muss.
    Der Nachbar hat vor 2 Monaten einen wunderschönen Baum verstümmelt, den ich durch mein Küchenfenster sehen kann. Ich bin immer noch wütend, und dachte Anfangs sogar ich müsse jetzt umziehen.
    Eine Bekannte hat in Darmstadt für vergleichsweise wenig Geld gegenüber vom Hundertwasser-Haus gewohnt und die dortigen Bewohner stets bedauert, weil sie auf ihre gruselige Mietskaserne gucken müssen.

  3. Ich finde bemerkenswert wie sehr Ästhetik im öffentlichen Raum von der Politik offenbar unterschätzt wird. Kein Mensch soll auf hässliche Häuser schauen müssen; das wäre für mich schlimmer als in solchen zu wohnen.

    Ein Aspekt des Themas Wohnen, der mich seit langem schon beschäftigt, ist die Wechselwirkung mit der psychischen Situation der Wohnenden. Ich frage mich seit ein paar Jahren warum es mir eigentlich so schwer fällt Ordnung zu halten; warum die Dinge bei mir keinen Ort haben – und falls doch ich sie trotzdem lieber auf dem Tisch liegen lasse anstatt sie dorthin zu legen. Ich frag mich vor allem wie andere Leute es ohne großen Zeitaufwand schaffen eine Ordnung aufrechtzuerhalten. Mir fiel es immer schon schwer mich um meinen Wohnraum zu „kümmern“

  4. Zu Alexa’s Frage:
    Als ich die Wohnung, in der ich heute wohne vor einigen Monaten mit meinem Partner besichtigt habe, fragt ich ihn: „Glaubst du, die Leute in diesem Haus sind traurig, weil ihr Haus so viel weniger schön aussieht aus die anderen?“ Das Haus ist sehr schmal und der Geldton der Fassade steht im wirklich nicht. Aber es steht zwischen mehreren sehr hübschen in norddeutscher Backstein-Bauweise erbauten Häuser.
    Da ich jetzt selbst eine Wohung in diesem Haus habe, kann ich sagen, dass definitiv die Freude überwiegt, viele schöne Häuser als Ausblick zu habe. Der Gedanke, dass „mein Haus“ von anderen als unschön betrachtet wird, stört mich kaum. Ich denke, das liegt aber daran, dass ich mich zwar mit meiner Wohnung und deren Einrichtung indentifiziere, aber nicht mit dem Haus selbst. Wäre es ein Einfamilienhaus oder gar mein eigenes Haus, dann würde ich sicherlich auch die Fassade der Hauses als Ausdruck meiner Identität sehen. Wenn ich es dann mit den umgebenen Häusern vergleiche, kann es gut sein, dass ich mir minderwertig vorkomme, wenn auch nur in diesem Punkt.

    • Genauso würde ich es auch sehen. Rein vom Wohnvergügen her würde ich lieber im hässlichen Haus sitzen und das schöne anschauen.
      Je stärker ich mit dem Haus verbunden wäre, zum Beispiel weil ich viele Jahre drin wohne, wäre es aber mir unangenehm, dass ich indirekt dazu beitrage, dass die insgesamt schöne Gegend durch ein hässliches Haus getrübt wird. Dieses Gefühl wäre besonders schlimm, wenn es das einzige hässliche Haus in einer sonst wundervollen Straße wäre.

  5. Tolle Folge! Besonders interessant der Gedanke, dass Innenarchitektur-Portfolios nur ein show-off von Raum sind. Dieses Gefühl hatte ich schon lange, aber ihr habt den Punkt getroffen. Es geht nicht mehr primär um die Möbel, sondern das Zuschaustellen des Raumes, den man sich in der guten Lage leisten kann.

    Darum interessant der Gegenentwurf mit sehr kleinen Wohnungen – die Platte: https://www.jeder-qm-du.de/zu-besuch-bei/plattenbau-bewohner/

  6. Oh, schöne Abschlussfrage. Ich bin schon vor einigen Jahren zu dem Schluss gekommen, dass ich in jeder Nachbarschaft am liebsten im hässlichsten Haus leben würde. Aus mehreren Gründen:
    1. Wenn ich drin wohne, sehe ich es nicht
    2. Wahrscheinlich ist die Miete etwas günstiger
    3. Der Grund, weshalb Leute hässliche Häuser in ihrer Nachbarschaft nicht mögen,
    ist wahrscheinlich auch der, dass sie sich gern nach unten abgrenzen möchten und Angst davor haben, mit den Menschen im hässlichen Haus in einen Topf geworfen zu werden. Wenn ich in einem Schandfleck lebe, werde ich ein Teil von ihm und es gibt mir ein gewisses Gefühl der Befriedigung, das Bürgertum daran zu erinnern, dass es noch eine andere Welt gibt und ich möchte es ihnen so schwer wie möglich machen, sich davon zurückzuziehen und so zu tun, als könnte es sie nicht berühren. Eine Dosis Realität tut ja jedem mal ganz gut, und wenn jemand genug Vermögen hat um sich davor zu verstecken, muss man sie eben in Form des hässlichen Hauses auf der anderen Straßenseite verabreichen.
    Erst am vergangenen Wochenende bin ich im Hamburger Stadtteil Winterhude an den Villen am Alsterkanal lang spaziert. Zwischen den ganzen riesigen Anwesen mit ihren Säulen und Türmchen war ein Haus etwas fehl am Platz. Es war ein unscheinbares, zierloses Backsteingebäude (aus den 70ern, vermute ich) mit Blick auf die Protzgärten mit Pavillons, Wintergärten und privaten Bootsanlegern und es war das einzige Gebäude, in das ich dort freiwillig ziehen würde.

  7. Die klassische Problemzone ist mutiert und erobert nach dem Körper auch die privaten Räume als natürlichen Lebensraum. Dabei geht es nicht mehr nur um Spinnengewebe oder Kalkränder. Dass der Finger staubfrei über die Regalkante gleiten muss, versteht sich von selbst. Roomshaming erfasst alle, die ihren Dalgona Coffee noch auf einem Palleten Couchtisch abstellen. Das obligatorische Frida Kahlo Porträt schaut geringschätzig auf euch herab. Wer sich beeilt, bekommt noch die letzte Ausfahrt zu Mushroomlampe und Popcornspiegel, bevor die Interiorindustrie die nächsten Trends in eure Wohnzimmer spült. Die hat nämlich ordentlich an Fahrt aufgenommen, seit die Frequenzsteigerung der Modekollektionen an ihre Grenzen gestoßen sind.

    Wer es geschafft hat, ein akzeptables Möbel auszuwählen, sollte sich nicht in falscher Stilsicherheit wiegen. Die richtige Inszenierung ist entscheidend. Hoffentlich sind genug dekorative Buchcover zur Hand, um das neue Wohnaccessoire zu bestücken. Der Book Spine Gap sollte nicht zu knapp ausfallen und wer das Bookshelf Styling ernst nimmt, stellt zwischendrin noch ein paar Objekte, die nach Kunst aussehen.
    Scandi, Boho oder Vintage? Der Einrichtungsstil ist das neue Sternzeichen. Doch Vorsicht. Wer übereifrig den Putz von der Wand schlägt, um den Charme der darunter liegenden Backsteinmauer spielen zu lassen, muss den Rest kuratieren wie eine Galerie. Sollten Kinder dazu kommen, die alles ins Chaos stürzen, hat man danach eine verwahrlosten Bude und nicht mal Tapete an den Wänden.

    Dann lieber auf den Spuren von Marie Antoinette wandeln und dem Cottagecore verfallen. Die Aussteigerattitüde noch weiter ausbauen kann man im Tiny House oder Vanlife. Doch auch hier gelten Gestaltungsregeln. Ohne die nötige Sorgfalt bei der Innenarchitektur gehört man nicht zur Wohnavantgarde, sondern ist nur ein Querulant, der im vollgestopften Gartenhaus schläft. Ebenso macht das richtige Vehikel den Unterschied zwischen Hipster Nomade und spießigem Camper.

    Wie jede Problemzone behandelt man diese am besten an ihrer Wurzel, also im eigenen Kopf. Aber wie kann ich den Gedanken bekämpfen, ohne durchgestyltes Instaloft kein vollständiges Individuum zu sein?
    Was bei körperlichen Intoleranzen hilft, sollte auch bei räumlichen funktionieren. Ein visuelles Gegengewicht muss her. Leider hat sich #ApartementPositivity noch nicht durchgesetzt, was das Auffinden geeigneten Bildmaterials erschwert.
    Die Begriffe „Unordnung“ und „Mess“ liefern nur Aufräumhacks. Auch „Shabby“ hält nicht was der Name verspricht, sondern gibt den Blick frei auf pastellige Teestübchen.Echte Antiästhetik ist in Social Media Mangelware.
    Selbst Zusammenstellungen die unter dem Label „Schlechter Geschmack“ laufen sind so kultig, dass sie schon wieder einen gewissen Schick haben.

    Es wurde schließlich eine Collage von Reportagefotos aus der ehemaligen Sowjetunion, Messieporn, Lost Places, Miniaturen und Puppenstuben, die auf heruntergekommen gemacht sind und Zimmer, die von Neuronalen Netzen hervorgebracht wurden. Sobald die Unansehnlichkeiten künstlich erzeugt sind, dürfen sie wieder stattfinden.
    Mit dieser pseudotherapeutischen Pinnwand besänftige ich die Einrichtungskomplexe, wenn sie mal wieder aus ihren Löchern kriechen. Und für den Fall, dass ich doch mal wieder die Innenarchitektin in mir entdecken muss, hab ich hübsche Biedermeier Möbel von Playmobil. Ich muss sie nur in den Spielzeugbergen des Kinderzimmers finden.

  8. Lieber in dem schöneren Haus, denn ich schaue ja nicht ständig aus dem Fenster, und im Sinne des sozialen Status ist das schönere Haus natürlich vorzuziehen. Außerdem steht ganz pragmatisch zu vermuten, dass ein schöneres Haus nicht nur eine hübschere Fassade hat, sondern insgesamt mit mehr Bedacht geplant und gebaut wurde, so dass es vermutlich auch was das Innere angeht (Materialien, Zuschnitt, Bauzustand) die bessere Wahl ist.

  9. Ich musste bei dem Thema auch an ein Buch denken, das mal im zu-verschenken-Fundus der Eltern eines Freundes auftauchte – ich musste erst mal suchen, da ich mich wirklich nur grob an den genauen Titel erinnern konnte – dabei ist er so einfach. Es handelt sich um „Kleine Enzyklopädie – Die Frau“
    Aus einer Inhaltsbeschreibung, die sich online finden lässt:
    „Die „Kleine Enzyklopädie/Die Frau“ setzt die Reihe der bisher erschienenen Bände „Natur“, „Gesundheit“, „Technik“, „Land-Forst-Garten“, „Körperkultur und Sport“ mit einem Buch fort, das sich speziell an die Frauen wendet, sie über ihre biologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation informiert und ihnen mit vielen Hinweisen und Ratschlägen helfen will.
    740 Strichzeichnungen mit Text 84 Fototafeln, 24 Farbtafeln 4 mehrfarbige Karten 1961 VEB VERLAG ENZYKLOPÄDIE LEIPZIG“

    Warum dachte ich daran: es gibt in dem Buch auch einen Abschnitt zum Thema, sinngemäß “ wie richte ich meine (Plattenbau)-Wohnung ein“, für Paare, für Beispielfamilie mit einem Kind, zwei Kindern, etc. Unter dem Link finden sich auch ein paar Bilder und bspw. auch eins aus dem Kapitel mit Möbeln aus der „volkseigenen Möbelindustrie“ –
    https://www.booklooker.de/Bücher/Irene-Uhlmann+Kleine-Enzyklopädie-Die-Frau/id/A02qMIDw01ZZW

    Ich glaube ich muss mir das mal irgendwo besorgen, ich musste die letzten Jahre immer wieder mal dran denken, wie interessant es war in dem Buch zu blättern.

  10. Wenn es um das Äußere des Hauses geht und es im Inneren keinen Unterschied bezüglich der Gemütlichkeit gäbe, dann würde ich lieber in dem hässlichen Haus wohnen und auf das schöne Haus blicken. Mir wäre meine Aussicht wichtiger als der Blick Anderer auf mein Haus.

  11. Kadda,mir gefällt die Beauvoir-Wohnung sehr! Ich finde, sie sieht lebendig aus. So eine Wohnung ist für mich eine Einladung zum Denken, Lesen, Schreiben. Zum Gespräch. Und dazu noch Blumen! <3 Ganz leere Wohnungen finde ich als (Insta-)Bild oft ästhetisch und auch entspannend im Vergleich zu meiner vollgepackten Bude, aber ich finde sie nicht inspirierend.

    • Ich habe neulich mit meinem Kind über Wohnungen geredet (total unzusammenhängend mit dieser Folge, es ging darum, wo sie sich wohl fühlt, also in den Wohnungen von Freund*innen zB) und das Kind fand: Ganz saubere und ordentliche Wohnungen sind schrecklich! Sie fühlt sich da wirklich unwohl! Am liebsten wäre es ihr, wenn es etwas chaotischer wäre, mit so Bücherstapeln überall, wie in Tintenherz und wenn auf dem Küchentisch Sachen rumstehen und auf dem Kinderzimmerboden Sachen rumliegen. Dann würde sie sich entspannen können.
      Das fand ich insofern erhellend, weil ich viele – vor allem, leider – Mütter kenne, die in Panik geraten, wenn ein fremdes Kind kommt und nicht ALLES komplett ordentlich und sauber und aufgeräumt ist. Und es mir selbst aber ganz GENAUSO geht, wie dem Kind, dass ich innerlich entspanne und mich wohlfühle, wenn es etwas rumpeliger und weniger steril ist, wenn man das Leben auch spürt, das in einer Wohnung eben zuhause ist. 🙂

  12. Selbstverständlich möchte ich im schönsten aller Häuser leben und hinabschauen auf die windschiefen Hütten des benachbarten Pöbels. Auf diese Weise habe ich alles was ich brauche, den Status und die Anerkennung den mir mein wunderschönes Anwesen bringt sowie ein beständiges Thema über das ich mich permanent beschweren kann. Ich könnte tagtäglich in meinem Wintergarten sitzen und immer neue Details bemerken an der abscheulichen Behausung meiner Nachbarn. Warhaft paradisische Zeiten.

  13. Natürlich lebe ich lieber in einem schönen Haus und schaue auf das „schlechte“ …. Allein schon weil ich mich dort besser fühle, länger als das ich den Nachbarn beobachte. So ist mir das Hemd näher als die Hose …..

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