Anekdotisch Evident

Kultur und Wissenschaft durchs Prisma der Plauderei

ae20 Wellness

| 10 Kommentare

Von der teuren Ayurveda-Kur auf Sri Lanka bis zum erschwinglichen Entspannungsduschgel, das mit Träumen aus 1001 Nacht lockt – in fortgeschrittenen Wohlstands- und Konsumgesellschaften kommt man an Wellness nicht vorbei. Sie gibt sich unpolitisch und harmlos, lockt mit Entlastung, Balance und Glück. Dabei wird unsere Sehnsucht nach Entschleunigung und Spiritualität hemmungslos ausgeschlachtet. Gegen jede Irritation gibt es das passende Produkt, als könnte man den Härten des Lebens mit Weichspüler begegnen. Wellness ist  keineswegs nur ein Angebot, sein Leben ganzheitlich gesund zu gestalten. Sie ist zum Imperativ geworden, dem man sich beugen muss, um als produktives, verantwortungsvolles und moralisches Gesellschaftsmitglied zu gelten. Wir sprechen über die Konsequenzen dieser Ideologie auf unser Wohlbefinden und fragen uns, wie viel Wellness vernünftig ist.


Links und Hintergründe

 
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10 Kommentare

  1. Wieder sehr interessant!

    Ich habe Wellness noch nie mit Gesundheit in Verbindung gebracht. Habe es wohl total ausgeblendet, dass die Werbung Gesundheit vermitteln will.
    Bei Wellness denk ich immer an Kosmetik und Luxus. Mit Kosmetik mein ich so Sachen, die man bei DM und Rossmann kaufen kann. Cremes die 700 Sachen versprechen und nichts halten können, außer vielleicht ein bisschen Feuchtigkeit.
    Vielleicht hab ich zu viel Krankheit erlebt, um Wellness damit nicht zu assoziieren.
    Sport, Entspannungsverfahren und Yoga ist für mich auch keine Wellness.
    Wellness ist für mich Haarmaske, Gesichtsmaske, Badezusätze und ein kleines bisschen Massage oder Sauna.
    Sport ist bei mir Pflicht für die physische und psychische Gesundheit. Wellness ist purer Luxus für die extrem seltenen Momente, wenn ich zu viel Zeit und Geld gleichzeitig habe.
    Selbstfürsorge ist Wellness für mich auch nicht wirklich, weil ich Wellness nur mit oberflächlichen Behandlungen, die schnell verfliegen, verbinde.

    Achtsamkeit scheine ich genauso zu sehen wie Alexanda sie beschrieben hat. Ich wusste gar nicht, dass andere Menschen Achtsamkeit irgendwie mit Mindfullness und mit Wellness verbinden. Ich hab Achtsamkeit in der Dialektisch-Behaviorale Therapie und der Akzeptanz- und Commitmenttherapie gelernt. Beides ist sehr hart, finde ich. Auf jeden Fall keine Wellness.

    • Hallo Marie,

      Genau diese Irritation kam bei mir auf, als der Vorschlag aufkam, das Thema zu beackern. Wellness habe ich immer mit der „Wellnessfarm“ in Verbindung gebracht, dem Luxus-Wochenende, das man vielleicht zu seinem 50sten Geburtstag geschenkt bekommt, wenn die ganze Familie zusammenlegt.

      Tatsächlich taucht das Wort Wellness heutzutage ÜBERALL und inflationär auf. Es gibt Wellness-Tee, Wellness-Socken, Wellness-Duschbad usw. Um Wellness geht’s in kostenlosen Magazinen der Krankenkassen auf und auf Plakaten in der Stadt. Wellness ist so allgegenwärtig, dass ich das gar nicht mehr wahrnehme. Es ist halt ein Bullshit-Begriff aus der Marketingsprache und ich zweifle immer noch, ob wir es mit einem Phänomen zu tun haben, das sich überhaupt klar genug umreißen lässt, um darüber diskutieren zu können.

      Der Wellnessverband (der sich von Kommerzialisierung der Wellness distanziert) definiert Wellness übrigens als „eine Form, genussvoll gesund zu leben“ und sieht sie als „eine aktive Gesundheitsstrategie, die den Einzelnen unterstützt, sein Leben durch wissenschaftlich gesicherte Maßnahmen gesund und produktiv zu gestalten und damit ein zufriedenes, von chronischen Krankheiten weitgehend freies Leben zu führen.“

  2. Hallo Ihr 2,

    bislang konnte ich Euch fast immer voll zustimmen, diesmal möchte ich noch einen dicken Kommentar hinterlassen.
    Ich arbeite selbst als Coach – und fühle mich ziemlich schlecht von Euch dargestellt in der letzten Sendung Anekdotisch Evident zum Thema „Wellness“.

    Warum? Weil ich euch zum Großteil zustimme. Ja, es gibt viele, die verstehen Coaching als Gelddruckmaschine. Und leider sind diese Leute oft sichtbarer und präsenter, als die eher Stillen, die auch gute Arbeit machen, die mit Idealismus handeln.
    Als Schüler in der 8. und 9. Klasse der Hauptschule habe ich angefangen Freud, Jung ect. zu lesen. Über den 2. Bildungsweg dann die Hochschulreife erlangt und was technisches Studiert. Die Liebe zur Psychologie ist immer geblieben. Im Job habe ich nach einigen Jahren, den Faden wieder aufgenommen und angefangen NLP lernen. (Ja, alle Vorurteile zum Neurolinguistischem Programmieren stimmen. Alle!). Das half mir auch im Job. Da meine NLP-Kurse auf Business ausgelegt waren, habe ich mich mit einer der Quellen beschäftigt. Milton H. Erickson, dem Begründer der modernen Hypnotherapie. Dann habe ich Hypnose gelernt, ein Jahr lang. Die Dozenten waren alle Ärzte, Schüler von Erickson. Ich habe ein 4 Jährige Ausbildung zum Systemischen Berater drangehängt. Meine Mitschüler: Doktoren, Hochschuldozenten, Professoren, Unternehmensentwickler, Selbstständige… Das Thema „Haltung“ war immer explizit wichtig und durch die Nähe zu Virginia Satir (moderne Familientherapie) irgendwie auch immer schon gesetzt. Tschaka war da nicht, sondern eher sehen und gesehen werden.

    Auch wenn ich es in 1,5 Jahren Selbstständigkeit als Coach und Berater nicht ansatzweise erreicht habe, davon zu leben, habe ich doch, wie ich meine, gute Arbeit geleistet. Ihr habt recht: andere sind oft lauter und finanziell erfolgreicher. Manchmal beneide ich die Kollegen, manchmal verfluche ich sie für übertriebene Versprechungen.

    Meine Frau ist zum Coaching gekommen, weil sie als HR-Manager eines Logistik-Betriebs Mittel und Wege brauchte, die Schließung der Niederlassung in der sie arbeitete zu begleiten. Sie wollte den Mitarbeitern Hilfestellung leisten können. Heute: HP psych, Hypnose- und Entspannungstherapeut, NLP-Lehrtrainer…

    Heute arbeiten wir auch schon mal für Lau mit Menschen, die in Krisen sind und es sich nicht leisten könnten. Oder sie werfen zum Ausgleich mal schnell einen Stapel Flyer in die Briefkästen ihrer Nachbarschaft. Uns liegt es daran, dass die Menschen ohne uns auskommen (blödes Geschäftsmodell) und wir haben z.B. jemanden mit einer Generalisierten Angst-Störung der in Behandlung/Betreuung war geholfen aktiv etwas gegen die ca. 20 erlebten Angstattacken zu unternehmen. Wir haben auch dafür gesorgt, dass der behandelnde Psychologe/Arzt von uns wusste. (Einmal kam von der Seite auch die Anfrage, ob wir unsere Erfahrungen in Kursen weitergäben… die Veränderungen am gemeinsamen Klienten hatten überzeugt.)

    Es geht uns darum Selbstwirksamkeit wieder erlebbar zu machen, wir geben die Ziele nicht vor und machen sehr darauf aufmerksam dass das Umfeld großen Einfluss hat und sich gegen manche Veränderung stellen wird. Es ist kein Scheitern sondern allenfalls Ehrenrunden und das ist auch kein Versagen sondern Teil eines Lernprozesses, den jeder mitmacht. Eine unserer selbst entwickelten Fragen ist daher: „Auf welchen Deiner Jugendstreiche bist Du am meisten stolz?“ (Wer einen Streich macht, hat eine Idee, einen Plan, eine Umsetzung und ist meistens noch stark genug gewisse Regeln zu übertreten und erlebt Selbstwirksamkeit…Lustgewinn/Humor…)

    Wir halten Coaching auch dann für angebracht, wenn das Leben in einen neuen Gang schaltet. Wenn ein neuer Job ansteht, eine Führungsaufgabe z.B. dann kann es durchaus sinnvoll sein unsere Methoden zu nutzen um sich mit Lernerfahrungen darauf vorzubereiten. Wir trauen den meisten unserer Kunden zu, die Probleme selbst auch zu lösen. Nur geht es mit etwas Hilfe bequemer, schneller und mit weniger Leid. Man könnte uns wohl mit dem E-Bike vergleichen, das dem alten Drahtesel gegenüber steht.

    Es ist mir auch wichtig darauf hinzuweisen, dass wir versuchen so wissenschaftlich wie möglich zu arbeiten. Wenn eine Methode oder ein Konzept widerlegt wird, nutzen wir es nicht mehr. Wenn wir wissenschaftliche Bestätigung unserer Methoden erhalten, geben wir diese „Produktbeschreibungen“ auch an unsere Kunden weiter. Um so mehr wundert es dann manchmal, wenn Kunden berichten, die Wünsche ans Universum hätten funktioniert – das hatten wir nie gemacht!!!

    Ich habe das alles erzählt, weil es „die Coaches“ einfach nicht gibt. Es gibt viele Coaches. Einige so, andere so…
    Es gibt übrigens einen wunderbaren „Bestätigungsfehler“ bei Coaches: Klienten die unzufrieden sind, bei denen etwas nicht klappt… die kommen nie wieder. Klienten die zufrieden sind, kommen immer wieder. So bekommen Coaches (viele) nur positive Bestätigung und gründen auf diesem unvollständigem Feedback ihr Ego.

    In diesem Sinne: Danke für die vielen anregenden Sendungen.

    lieben Gruß
    heinZ

    • Ich muss leider sagen, dass ich mit NLP und ähnlichem nur schlechte Erfahrungen gemacht habe. Ich arbeite an einem grossen staatlichen psychiatrischen Einrichtung und komme damit am Rand immer wieder in Berührung.

      Es kommt immer wieder vor, dass sich hier Leute bewerben, die mit Slogans auftrumpfen wie „ADHS ist heilbar!“ und krassere Statements. Und diese Berufen sich immer auf NLP oder Theorien, die noch weiter weg von wissenschaftlichen Standards sind (sorry, fürs in einen Topf werfen) und sind auch keine studierten Psychologen oder gar Psychiater. Diese Bewerbungen landen direkt im Papierkorb. Zumal deren Leistung auch die Versicherung nicht bezahlen würde.

      Klar, es gibt solche und solche. Und ich bin mir sicher, dass du das in der besten und aufrichtigsten Absicht und mit viel Idealismus machst. Ich glaube auch, dass du den Menschen helfen kannst. Aber warum soll ich denn zu einem NLP-Therapeuten gehen anstatt zu einem dipl. Psychologen / Psychiater?

      Mir ist das alles zu esoterisch… Und die Notfall-Psychiater und Psychologen, die sind ziemlich naja robust und das Gegenteil von verkopft. Idealismus haben die auch, aber auch Expertise.

      Ich muss aber ergänzen, dass ich nicht in Deutschland lebe und vielleicht ist dort die Abdeckung mit psychologischer Betreuung dünner, dass du vielleicht den Notstand direkt selbst anpacken wolltest.

  3. Ich habe den Podcast so genossen!
    Einmal, weil ich dieses Selbstverbesserungs- und Coachingeschwurbel aus mehreren Perspektiven selbst erlebt habe. Während des Studiums habe ich an Privatschulen gearbeitet, wo sowohl den schlecht bezahlten Lehrern (die man Dozenten nannte, weil es cooler klingt) als auch den Schüler viel vorgegaukelt hat. Nach dem Motto „Jeder kann es schaffen!“ wurden dort Menschen Ausbildungen verkauft, die einfach Quatsch waren oder sie schlicht nicht die Fähigkeiten hatten.
    Konkret haben dort Eltern Kinder platziert, die ganz klar auf Förderschul-Niveau waren, die Eltern das aber nicht wahrhaben wollten und viel Geld gezahlt haben, damit das Kind dort qualvoll ausgebildet wird und es am Ende dann doch nicht geklappt hat. Oder komische Naturheil-„Studien“, die einfach komplett unwissenschaftlich waren, aber so viele mittelalte Menschen, die nochmal was wagen wollen, angesprochen haben, dass es sich echt gelohnt hat, weil so ein Studium richtig teuer war. Der Abschluss war auch nicht wirklich anerkannt. Und auch die „Dozenten“ kamen sich beim Uni spielen richtig wichtig vor.

    Parallel habe ich im Studium noch mit historischen Entwicklung befasst, wie man den menschlichen Körper als Maschine begriffen hat und später auch dessen Geist. Das kam vor allem durch die Fliessbandarbeit, aber auch durch die Notwendigkeit der Prothesen nach den vielen Versehrten des 1. Weltkrieges. (Buchtipp: Motor Mensch – Anson Rabinbach). Wie diese Arbeit mit dem Körper immer mehr zur Arbeit an sich selbst geworden ist, ist wahnsinnig spannend.

    Jetzt bin ich im sozial-medizinischen Bereich und im Bildungswesen unterwegs und treffe regelmässig auf Coaches und es sind genau die Typen, die ihr beschrieben habt. Im besten Fall sind es Psychologen, die sich anders gebrandet haben, im schlimmsten irgendwelche Motivationstrainer, die ein paar schlechte Bücher mit irgendwelchen noch schlechteren Motivationssprüchen gelesen und verinnerlicht haben, die sie dann gebetsmühlenartig dem Publikum entgegen plärren. Und das Perfide habt ihr daran auch benannt: Es entsteht immer der Eindruck, dass da noch mehr sein soll und du deine Potenzial nur entdecken musst. Aber das ist ein wahnsinniger Druck einerseits und dieser Selbstverwirklichungszwang auch ein riesiges ökonomisches Privileg andererseits. Das muss man sich erst mal leisten können.

    Ich dachte da immer, wie schön es sei, wenn man anstatt eine positive Kultur des Scheiterns und des Probierens leben würde.

    Ach und zum Abschluss, ich bin weit entfernt all diesen Selbstverbesserungshypes zu entgehen. Quatsch-Apps, Tracker und komische Mittelchen etc. Viel habe ich probiert und 95% waren Quatsch. Und auch ich habe mich bei einem miserablen Lohn gefreut „Dozent“ genannt zu werden. Retrospektiv muss ich darüber lachen. Aber so ist das eben.

    Zum Schluss ein Zitat von Max Goldt: „Nicht aus Fehlern lernen, gleich richtig machen!“ Besser bringt man die Absurdität von diesen Motivationssprüchen nicht auf den Punkt.

  4. Die Zucker-Panikmache hat nun auch die Kosmetikbranche erreicht ? https://ibb.co/5kC0tqD (aus dem Douglas Magazin 2/2019)

  5. Ihr Lieben, vielen Dank für einen neuen spannenden Podcast von euch! Ich freu mich immer wieder über neue Folgen und bin stets fasziniert wieviel Arbeit und Leidenschaft ihr in euer Projekt steckt! Danke dafür!

    Zu dem Thema Wellness, möchte ich sagen, das ich finde ihr habt in dieser Folge gefährlich viele Dinge auf einen Haufen geworfen. So bin ich absolut bei euch, was den Beauty, Diät, optimize your life style angeht!! Beim Coaching & Meditation, wird es dann allerdings sehr schwammig, was mich etwas traurig macht. Es gibt viele Menschen / Firmen die ein Feel Good Feeling für viel Geld verkaufen möchten und vor lauter Zitat Instagram Posts selber keine Zeit mehr haben um zu meditieren oder mal „bei sich zu sein“. Ziel verfehlt und irreführend – keine Frage.

    Es gibt aber auch ganz viele tolle Menschen die sich Coaches nennen und deren Kernessenz darin liegt dem Menschen zu helfen sich selbst mit mehr Sanftheit und Liebe anzunehmen. Und die in ihrer Arbeit, wie es auch bei der Meditation der Fall ist, Auf und Abs, Negatives wie Positives willkommen heißen und NICHT versuchen, das unschöne unsichtbar zu machen. Menschen die mit ihrem wachen Geist für Projekte kämpfen, die diese Themen auch in die Kinder und Jugendarbeit integrieren.

    Kurzum – diese Arbeit führt längerfristig dazu, das man es ohne größeren Groll oder Unsicherheit annehmen kann, wenn die Kellnerin einem enttäuschte Blicke zuwirft während sie einem den Zucker reicht. 🙂 Denn auch sie hat wahrscheinlich nur ein schlechtes Gewissen.

    Dies geht nicht durch „mal ein bisschen meditieren ist ok“ (Zitat Katarina :-)), sondern es brauch schon ein bisschen mehr – vor allem Mut genau hinzuschauen bei sich. Und ja, oft brauch man leider auch ein bisschen Geld und sicheren Background dazu um sich das „leisten“ zu können. Aber es gibt auch viele Kostenlose Angebote.

    Naja nun ist mein Kommentar doch länger geworden, als ich wollte. Ich möchte mich nur bedanken bei den Menschen, die mit ihrer Arbeit WIRKLICH Freude daran haben andere Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen. Für eine liebevollere Beziehung zu sich selbst und zu allen Andern!

  6. Hallo. Ich habe euren sehr spannenden Podcast gehört zum Thema Wellness. Was mir dazu fehlt ist die krasse Mode energy drinks zu konzumieren. Vorallem unter Kindern und Jugendlichen. Darauf kam ich als Alexander ihre zuckershaming experience beschrieben haben. Was ja den krassen Gegensatz dazu beschreibt. Lucie.

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