Anekdotisch Evident

Kultur und Wissenschaft durchs Prisma der Plauderei

ae15 Schmutz

| 9 Kommentare

Schmutz ist unerwünscht. Schmutz ist der Feind jeder Ordnung. Umso ärgerlicher, dass wir den Kampf gegen ihn nie gewinnen werden. Als Nebenprodukt der Zivilisation begleitet er die Entwicklung unserer Identität, seine Ablehnung hilft, soziale Hierarchien zu errichten und Gesellschaft zu ordnen. Hinter unserer Schmutz-Aversion steckt nicht nur die Sorge um Hygiene. Wenn wir von „Schmuddelkindern“ sprechen, von „schmutzigen Geschäften“ oder „schmutzigen Gedanken“, wird deutlich, dass Schmutz eine kulturelle Kategorie ist, die ausschließt und unterdrückt, was nicht in die gängigen Vorstellungen passt. Dass Schmutz auch produktiv und bereichernd ist, können wir dagegen in Kunst, Film und Musik regelmäßig erfahren. In dieser Folge spüren wir den Bedeutungsschichten des Schmutzes nach und überlegen, ob ein Leben ohne Schmutz wirklich wünschenswert wäre. 

 


Links und Hintergründe

 
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9 Kommentare

  1. Danke auch für diese Folge! Es war wieder sehr anregend..

    Drei Gedanken dazu:

    Was ich noch interessant finde an dem Thema ist die Oberflächlichkeit der Schmutzbeseitigung, die allseits gepflegt wird, hygienisch aber tatsächlich gar nicht richtig differenziert wird. Aus meiner langjährigen Arbeit als Altenpfleger kann ich berichten, dass zweites dem ersten aus Zeitmangel sogar häufig zum Opfer fällt. Allein die auf eine fünfstellige Zahl geschätzten Opfer von MRSA-Viren sind ein Zeugnis dafür. Ich übertrage das einfach mal auf die Gesellschaft.. Ein zweites Beispiel sind Menschen mit Hunden, über die ich mich immer wieder wundere wie übertrieben sauber mancher Besitzer*in Wohnung ist, wenn ich sehe wie sie sich von ihrem (sorry!) scheißefressenden Hund das Gesicht ablecken lassen (anekdotisch; ich weiß;). Ich hab das Gefühl Rationalität täte dem Umgang mit dem Thema Schmutz wirklich ganz gut.

    Als ihr das Thema Schund-Literatur angesprochen habt, musste ich auch wieder an diese ideale Sauberkeit denken. Ich finde auf die Schnelle leider keinen Beleg, aber ich hab mal (in einem Podcast?) gehört, wie schockiert christliche Missionare waren als sie vor Jahrhunderten bemerkten, dass die Menschen im arabischen Raum eine viel intensivere Körperpflege betrieben haben. Dieses Phänomen machte es notwendig von einer „inneren Reinheit“ zu sprechen, was daraufhin im Deutschen eine üble Tradition haben sollte.

    Und ein kurzer Gedanke zur Verdreckung Berlins noch; ich wohne in einem Kiez in Friedrichshain, in dem die Mieten in den letzten 10 Jahren enorm in die Höhe geschossen sind (Altenpfleger*innen und ähnliche Geringverdienende sind hier also de facto (!) nicht mehr erwünscht) Ich weiß, dass die örtlichen Punks hier durchaus auch ganz intentional eine Kultur der Verdreckung pflegen; es soll hier einfach nicht so schön sein. Die Leute sollen hier nicht mehr hinkommen wollen. Discounter gibt es hier immer weniger und der halbe Liter Bier hat im Schnitt bald 4 Euro erreicht. Völlig klar ist Hopfen und Malz in diesem Prozess schon lange verloren, aber ich schätze diese Kultur der Verdreckung deswegen doch ein wenig..

    Länger geworden als ich wollte. Schönen Abend!

  2. Ich habe die Sendung noch nicht ganz durch, aber finde sie jetzt schon großartig.

    Es gibt ja immer diese Momente, wenn jemand etwas ausspricht und man denkt sich „Endlich bringt jemand auf den Punkt was ich schon immer denke!“. So ging es mir bei der Kritik von Pfaller und den „schäbigen“ Kneipen.

    Ich bin total froh über Rauchverbote am Arbeitsplatz, am Bahnhof oder in öffentlichen Einrichtungen. Aber an einer einzigen Stätte wünsche ich mir das Rauchen sowas von zurück – obwohl ich nie geraucht habe: In der Kneipe!

    Die Kneipe ist genau so ein Ort wo man zu laute Musik hört, fettiges Essen isst und viel zu viel trinkt! Deshalb gibt es auch diese „schäbigen“ Kneipen, aber keine „schäbigen“ Museen, Schwimmbäder oder sonst was. Weil die Kneipe ein Freiraum ist dem man noch „dreckige“ Dinge machen kann und selber dreckig sein kann. Ich vermisse wirklich diese kleinen Orte des Exzesses!

    P.S.: Vielleicht wäre Exzess ein Thema für eine Sendung? Wobei das vielleicht auch nicht so viel Neues brächte, weil es schon in anderen Folgen angeschnitten wurde.

  3. Moin,

    ich habe ein paar Anmerkungen zu der Anekdote der Schulfreundin mit den Allergien. Zunächst führt eine Desinfektion nicht zu einem Zustand in der kein Keim überleben kann, sondern zu einer starken Reduzierung der Keimzahl. Eine „Keimfreiheit“ würde man nur durch eine Sterilisation erreichen.

    Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Allergien im Zusammenhang mit dem Einsatz von Desinfektionsmitteln im Bad stehen. Unter normalen Bedingungen ist das Ergebnis gleich, egal ob man Desinfektionsmittel oder Wasser mit Seife verwendet. Die Keimzahl wird so stark reduziert, dass keine Infektionsgefahr besteht.
    Durch die Umgebungsluft kommt es dann zu Besiedlung mit relativ harmlosen Keimen, denen man eh dauernd ausgesetzt ist.
    Das heißt durch sehr häufiges Putzen reduziert man sein Infektionsrisiko nicht.
    Desinfektionsmittel im Haushalt sind in der Regel sinnlos bzw. schädlich, da sie teuer sind, zu Toleranzen führen können und die Umwelt belasten.

    Jetzt zu den Allergien. Es gibt Studien die eine Korrelation zwischen der Keimexposition und Allergien zeigen.
    Eine Kausalität ist nicht nachgewiesen und selbst bei einer solchen gibt es deutlich stärkerer Faktoren (industriell sauber hergestellte Lebensmittel, weniger Kontakt zur natürlichen Umwelt) als die Frage, wie häufig man die Wohnung putzt.

    Um es kurz zu sagen, ich fand dieses Beispiel unglücklich, stimme ansonsten den Aussagen zu.

    • vielen Dank für deine Erläuterung. ich hatte in der Tat eine dieser Studien gelesen, in der ein Zusammenhang zwischen Allergien und Keimexposition zu sehen war, als ich das Beispiel erwähnte.
      Dass ihre Allergien NUR durch diese desinfizierte Umgebung entstanden sind, wollte ich damit nicht gesagt haben (hätte ich vermutlich deutlicher sagen sollen), mir ist durchaus bewusst, dass die Auslöser so monokausal nicht sind. Aber ich sollte das sicherlich deutlicher SAGEN und nicht nur denken …

      Danke dir,
      Katrin

  4. Hallo ihr. Da ihr die Smog-Katastrophe in London 1952 angesprochen habt. Für all jene, de es interessiert: Die Folge 209 vom Hoaxilla-Podcast widmet sich genau diesem Thema.
    https://www.hoaxilla.com/hoaxilla-209-der-todesnebel-von-london/

  5. Ein sehr schönes Beispiel, dass die deutsche Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus auch etwas Schmutziges hat, ist in der Film-Satire Schtonk von Helmut Dietl lustig anzuschauen. Die Szenen, die im Büro des Verlagsleiter Dr. Guntram Wieland spielen – gespielt von Ulrich Mühe, nestelt dieser permanent mit einem weißen Stofftoch rum. Das Thema ‚Hitlers Tagebücher‘ scheint für ihn etwas permanentes, schmutziges an sich zu haben, wo er mit dem Reinigen seiner Hände nicht mehr hinterher. In der Geschichte hat er als Verlagsleiter eben auch seine Finger im Spiel.

    Links:

    Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Schtonk!
    IMDb: https://www.imdb.com/title/tt0105328/

  6. Das war sehr unterhaltsam und es hat irgendwie gut gepasst es in der schmutzigen U8 zu hören.

    Was ich sehr interessant fand war Kathrins Idee zum Nachschlag: Mir scheint es als hätte die ökologische Bewegung den menschlichen Einfluss auf die natürliche Welt als schmutzig definiert. Geraten Kulturprodukte wie Plastik in die Natur sind sie Schmutz, dabei sind sie weder infektiös noch sonst irgendwie gefährlich und bis auf eventuelle ästhetische Bedenken richten sie auf einer Wiese ja keinen Schaden an.

    Ein Freund hat als Kind Urlaub auf einem Demeter Bauernhof gemacht. Gleich am ersten Tag ist ihm von einem Spielzeug ein Stückchen Plastik abgebrochen. Der Bauer hat abends völlig entrüstet der Familie das Corpus Delicti (ein winziges Stückchen blauen Plastiks) vorgelegt und erklärt dass so etwas auf seinem Land nichts zu suchen hat. Das hat schon etwas manisches und erinnert mich an den Lehrer der die Schüler auf Schund-Jagd schickt.

    Wie sehr das Teil unserer Kultur ist, sieht man wenn man in andere Länder reist. Wenn ich in Indien oder Nordafrika war, war ich immer schockiert dass Plastiktüten einfach in der Natur rumliegen. Was macht dieser Schmutz denn da?
    Ich konnte kaum fassen, dass das es die Menschen dort nicht zu stören scheint.

    Dieser Schmutz-Diskurs ist meiner Meinung nach ein wichtiger Teil der Ökobewegung (und vielleicht ja auch der richtige Weg die Ziele durchzusetzen). Die Ablehnung und das Verbot von radioaktivem, genmanipuliertem und pestizide-enthaltendem als Schmutz der in der Natur und unserem Leben nichts zu suchen hat ist eigentlich ja das zentrale Anliegen.

    • ja, also das Thema greife ich auf jeden Fall noch einmal im Nachschlag auf.
      aber ich empfehle zu dem Thema „Plastik ist ja nicht schlimm“ einfach mal die Logo-Kindernachrichten von gestern, 29.08., zu finden in der ZDF-Mediathek.
      Liebe Grüße,
      Katrin

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