Anekdotisch Evident

Kultur und Wissenschaft durchs Prisma der Plauderei

Öffentlichkeit

| 4 Kommentare

Einst fand das Öffentliche auf Marktplätzen, in der Kirche und auf der Straße statt. In feierlichen Umzügen wurden die Mächtigen geehrt und Abweichler an den Pranger gestellt. Aber Öffentlichkeit hat nicht nur die Funktion, dem Besonderen eine Bühne zu geben. Sie ist auch eine Grundvoraussetzung der Demokratie, ein Forum, in dem ausgehandelt wird, wie wir miteinander leben wollen. Obwohl das Internet mit dem Versprechen der Teilhabe einherging, hat es die Medienöffentlichkeit in einer Weise verändert, die für die Demokratie bedrohlich ist. In dieser Folge gehen wir dem Dilemma nach und fragen nach den Verlusten und Gewinnen des Wandels von Öffentlichkeit.

Shownotes:

Wenn euch anekdotisch evident gefällt, dann schmeißt doch ein paar Euro in einen unserer Hüte – das hält das Angebot am Leben.

4 Kommentare

  1. Was für eine Synapsenorgie was ihr da verursacht bei jeder Folge 😀 ich liebe es.

    Ich kaue die ganze Zeit noch auf diesen Exzellenzen herum. Ich würd jetzt ausm Bauch raus doch sagen: Die Exzellenz ist so ähnlich wie Intelligenz. Kann man sich nicht selbst zuschreiben, ohne dass es zu 100% arrogant wirkt auf die anderen Teilnehmer. Hat wahrscheinlich wieder viel mit Reputation und so zu tun. Aber der einzige weg dazu ist wahrscheinlich doch wieder dieses Höllentor der Veröffentlichung.
    Wo ich zum Beispiel eine öffentlichkeit relativ nahe am ideal sehe, sind wahrscheinlich seit Anfang des Internets so Technik-Foren. Wahrscheinlich weil diese Fragen so explizit gestellt werden müssen, dass da sowas wie eine Fernfehlersuche überhaupt möglich ist und andererseits kann man nicht als laie einfach seinen Senf dazugeben ohne sich sofort zu outen. Die gemeinsame Basis ist da auch eindeutig definiert (Elektrotechnik, Programmiersprache, Physik allgemein). So eine gemeinsame Basis wär aber wahrscheinlich auf soziale Diskurse angewandt wieder die Leitkultur oder sowas ähnliches, halt ich auch nicht für gut.

    Woran ich auch sofort bei Öffentlichkeit dachte sind WhatsAppChats im Freundeskreis oder sowas. Also eigentlich schon privat, aber mit dem Manko des Festgeschriebenen. Andererseits auch wieder so unübersichtlich dass es wahrscheinlich egal ist. Da stoße ich in letzter Zeit eben immer öfter auf das Phänomen, dass einer nen Link postet kommentiert mit irgendeinem Smiley oder „haha, schaut mal rein“. Stellt sich manchmal als verbogene Kritik an Corona-Maßnahmen, oder wirklich haarsträubende Petition, oder Pressekonferenz seltsamer bis abstoßender Kleinstparteien heraus. Und selbst in diesem wirklich vertrauten Kreis von Freunden wird kritik, so exakt an der sache wie es nur irgendwie geht, sofort als persönlicher Angriff verstanden. Eben mit dem traurigen Smiley und dem satz: „Was fühlst DU dich denn so angegriffen?“ Tu ich nicht. Woher auch? oder: „Woher dieses wir und ihr? Warum willst du denn uns spalten, wir sind doch alle Freunde?“ Les ich mir in aller Sorgfalt nochmal alles durch und nichts kommt vor davon. Nicht einmal „ihr“ oder „im gegensatz zu euch“. Erstaunlich unverständlich. Zum Glück kommt dann meistens noch jemand dazu und rettet mich aus der Fassungslosigkeit. Manchmal bin ich aber auch nicht der erste der reagiert und muss erstmal stupide Zustimmung mitlesen. Drei Minuten nach dem Teilen einer 1h30min Pressekonferenz voll nationalismus, aber der Überschrift „humanistische Vision für ein glückliches Land“ oder so ähnlich.

    Versteh mir eine*r die Welt und erklärts mir dann hoffentlich.

    Podcasts wie eurer waren für mich auf jeden Fall gefühlt die passend niederschwellige Form der öffentlichkeit um sowas wie Geisteswissenschaften überhaupt als was anderes zu sehen als zielloses Geplapper, das eh viel zu abstrakt und nie konkret ist. Da war ich bis vor nem Jahr noch echt peinlich auf die Technik beschränkt. Und jetzt les ich Philosophie, wer hätte das gedacht 😀 Ohne euch wär Corona echt unerträglich langweilig und auch danach kann ich mir nicht vorstellen diese Welt wieder ziehen zu lassen.

    Danke euch, grüße von Chris

  2. Wieder eine ganz tolle Folge, die ich mit großem Interesse gehört habe!

    Zum Thema „Aushalten, dass es verschiedene Meinungen gibt“ und der Un-möglichkeit einer Diskussion auf Twitter:
    Ich glaube hier liegt in großes Problem in der Leichtigkeit, mit der es Personen möglich ist, die Meinungen der anderen eben NICHT auszuhalten. Es ist viel zu leicht, einfach einen Hass-Kommentar einzugeben und abzuschicken (oder irgendeinen Kommentar, was das betrifft)!
    Abgesehen von der Einfachheit, einfach schnell irgendwas in seine Tastatur zu hacken, kann man sich ja dann hinter der Fassade der vermeintlichen Anonymität verstecken und muss sich in dem Moment noch nicht mal mit den Reaktionen oder Gefühlen des Gegenübers auseinander setzen! Obendrein wird man dann auch noch von seiner Filterblase mit Bekräftigungen gelobt und ermutigt. Insofern ist es nur richtig wenn ihr sagt, dass man z.B. auf Twitter einfach nicht diskutieren kann.
    Ein Problem, das diesen sozialen Medien somit offenbar strukturell innewohnt. Es ist eben – wie ihr ja treffend gesagt habt – von irgendwelchen Silicon-Valley-Leuten sozusagen „einfach mal“ gemacht worden, und nun haben wir das eben.

    In diesem Zusammenhang fände ich sehr interessant, wie ihr über die Entwicklung bzw. den Ansatz von clubhouse denkt. In der ersten Hälfte des Podcasts musste ich sehr oft denken „DAS wäre dort aber anders“! Denn viele der gerade genannten Gründe für – die Anonymität, die Mittelbarkeit der Konversation, die Nicht-Moderation – treffen dort ja z.B. nicht zu oder sind ganz anders. Vielleicht kann man dort daher besser diskutieren?
    Dennoch, viele der Probleme, die Alexandra z.B. genannt hat (den Verlust der Öffentlichkeit durch Filterblasen, verkürzt gesagt) werden hier natürlich strukturell auch nicht wirklich verbessert.

    Vielleicht ein Thema für einen Nachschlag? 😉

    DANKE & Liebe Grüße

  3. Vielen Dank für die Folge. Ich habe mich fleißig durch die Folge durchgeärgert, was ein gutes Zeichen dafür ist, dass ihr viele Aporien in meiner Weltsicht erwischt habt, an denen ich immer wieder herumkaue. Ich bin nämlich ein großer Fan von Social Media trotz aller Schwierigkeiten, die sie bieten. Ich sehe es wie Katrin, dass wir uns die Welt einfach schön kuratieren müssen.

    Was mir in der Diskussion gefehlt hat, war die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich, um die seid ihr meiner Meinung nach elegant herum geschlichen. Und dass diese Unterscheidung Herrschaftsverhältnisse konstitutiert. Ihr habt das Thema „antikes Griechenland“ angetippt, wo das am anschaulichsten geschieht, wo Sklaven natürlich ein alltäglicher Anblick waren, aber in der Öffentlichkeit nicht stattgefunden haben. Im Gegenteil, sie waren sogar konstititutiv für die Öffentlichkeit Griechenlands. Die Debatte auf der Agora war nur möglich, weil die Herren sich um Arbeit nicht kümmern mussten, sondern ihre Sklaven das übernahmen und als Teil der Ökonomie, der Haushaltsführung, etwas privates waren, für das man sich nicht interessiert (selbst auf arbeitetende Freie wurde herabgeblickt, der gute alte banausos ist ein Handwerker).
    Wenn es aber einen Bereich gibt, der von der Öffentlichkeit abgeschieden ist, in den man Gruppen hineinmarginalisieren kann, weil man gewisse Dinge im öffentlichen Raum nicht tut, wer legt dann die Spielregeln fest?
    Wir bewegen uns ja auch in der Öffentlichkeit als Menschen. Eine Politikerin (man fühle sich mit gemeint) als Prototyp einer öffentlichen Person ist ja nicht nur ein sprechendes Stück Politische Theorie/Weltanschauung, sondern sie ha ein Geschlecht, fährt Porsche oder ist mehrmals verheiratet, etc. Unsere Identitätsbruchstücke spielen also immer wieder in die Öffentlichkeit hinein. Das will man vielleicht nicht immer wissen, ist aber durchaus relevant. Wer also was in der Öffentlichkeit wie sagen darf und was nicht, ist hoch politisch. Und damit ist auch das private hoch politisch, weil es als Raum dient, Dinge zu marginalisieren.

    Gerade Social Media hat da eine emanzipative Kraft, finde ich, weil es potentiell die Macht hat, diesen Dualismus aus öffentlich und privat zu zerstören. Dafür braucht es sicherlich andere Umgangsformen, aber auch der Buchdruck und das Fernsehen galten ja mal als der Untergang des Abendlandes, während es historisch gesehen immer eher weiße, europäische Männer mit Weltmachtambitionen waren, die das Abendland an den Abgrund geführt haben.

    Ich glaube, Alexandra war es, die sagte, sie braucht die Person ja vor sich, um ihr angemessen gegenüber reagieren zu können. Vielleicht ist es auch umgekehrt, dass wir uns neu fragen müssen, wie wir in der Öffentlichkeit miteinander umgehen, dass möglichst alle an ihr partizipativ teilnehmen können und damit die Öffentlichkeit letzten Endes „abschaffen“. Und was wir mitbringen müssen / jungen Menschen beibringen müssen, um Diskurse zu ertragen statt beleidigt zu sein. Auch wenn das wahrscheinlich reichlich utopisch klingt. Aber wo wären wir heute, wenn es nicht immer Menschen gegeben hätte, die sich eine inklusivere Öffentlichkeit gewünscht hätten als die, die sie aktuell vorgefunden haben?

  4. Interessant wie nah ihr und Arendt an der Erkenntnis wart, dass es für eine gelungene Demokratie /Öffentlichkeit ein bedingungsloses Grundeinkommen braucht:D

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.