Anekdotisch Evident

Kultur und Wissenschaft durchs Prisma der Plauderei

Generationen

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Mit Generationen, so scheint es auf den ersten Blick, lässt sich vor allem Geld machen: Während Marketingabteilungen sich über die griffigen Definitionen der Konsumgewohnheiten ihrer Zielgruppen freuen, lassen wir uns gut unterhalten von Büchern, die „unsere Generation“ im Titel führen: Kriegskinder, Boomer, Millenials, Generation Golf, Generation X, Generation Beziehungsunfähig …

Sind „Generationen“ nur eine Erfindung der Werbeindustrie? Einschneidende politische Ereignisse, gesellschaftliche Entwicklungen und Zeitgeistphänomene formen unsere Persönlichkeit und prägen unser Verhältnis zu denen, die nach uns kamen. Können wir eine gemeinsame Sprache finden? Oder sind es gerade die Unterschiede, die sich produktiv auf unsere Gesellschaft auswirken?

Links und Hintergründe

Ein Kommentar

  1. Ein sehr wichtiges Thema, das ihr da besprecht! Ich denke, dass das, was man gemeinhin als „Spaltung der Gesellschaft“ bezeichnet letztlich ein Generationenunverständnis ist.

    – In der Klimadebatte versteht die alte Generation nicht, dass sie Gewohnheiten ändern muss, weil sie sonst der jungen Generation ein unbeschwertes Leben unmöglich macht. Die junge Generation versteht aber nicht, dass die alte Generation nicht „schuldig“ für deren „Klimasünden“ ist – sondern dass gerade die Boomer-Generation aus einer Zeit kommt, in der erst 4 Mrd. Menschen lebten und die Industrialisierung ein wahrer Segen zu seien schien (gemessen an den Mangeljahren der Kriegszeit) und die Umweltproblematik erst entdeckt wurde.

    – In der Europa-Debatte trifft eine Generation die noch in Nationalstaaten aufgewachsen ist, auf die Generation Erasmus-Studium für die ein vereintes Europa die Normalität ist.

    – In der Migrationsdebatte sehen wie eine alte Generation, die mit Gastarbeitern und Migranten wenig zu tun hatten und die auch wenig von der Welt sehen durfte, auf eine Jugend, die selbstverständlich mit migrantischen Mitschülern groß geworden ist und dadurch viele Ängste und rassistische Abwertungen nicht mehr so stark aufgebaut hat.

    – In der Gender-Debatte prallen ebenfalls zwei Erfahrungswelten aufeinander: Die junge Generation sieht dort ein Potenzial um die Gesellschaft freier und gerechter werden zu lassen – während die alte Generation in einer Welt aufgewachsen ist, in der viele sexualitätsbezogene Themen und Nicht-Cis-Heterosexualität noch etwas anrüchiges waren.

    Tatsächlich Teile ich auch die Ansicht, dass Begriffe wie „alter weißer Mann“ da auch wirklich kontraproduktiv sind. Mir ist klar, wie dieser Begriff gemeint ist: Trotzdem ist er einerseits missverständlich (auch die nicht überprivilegierten alten weißen Männer fühlen sich angesprochen) – andererseits eben abwertend und ausgrenzend. Dazu inhaltlich auch oft falsch – Kadda hatte ja nur Welzer und Precht als „alte weiße Männer“ bezeichnet. Aber zu dieser illustren Runde „alter weißer Männer“, die eine wirre Meinung zum Ukrainekrieg haben und sich von den Medien ach-so-ignoriert fühlen, möchte ich bitte auch Alice Schwarzer zählen. Insgesamt finde ich da interessant, dass die junge Netzgemeinde gern über Mikroaggressionen, inklusive Sprache und Vorurteile schwadroniert – aber letztlich mit Begriffen wie „alte weiße Männer“ und „Boomer“ eben genau diesen Fehler selbst begeht. Umgekehrt sollte die alte Generation nicht den Wunsch nach Veränderung als Spinnerei der Jugend fundamental ablehnen – sondern konstruktive Kritik üben.

    Letztlich fällt mir da der Text „Der Mensch“ von Kurt Tucholsky ein, der einst schrieb:

    „Die verschiedenen Altersstufen des Menschen betrachten einander wie verschiedene Rassen; Alte haben gewöhnlich vergessen, daß sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, daß sie alt sind, und Junge begreifen nie, daß sie alt werden können.“

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